Name: Shirin Najdi
Alter: 20
Studiengang: Physik + Philosophie auf Gymnasiallehramt
Semester: 6. Semester
Universität: Universität des Saarlandes
Stiftung: Avicenna-Studienwerk
(Muslimisches Förderungswerk)
Wie bist du auf die Idee gekommen, dich bei Avicenna zu bewerben?
Auf die Idee bin ich gekommen, nachdem meine Mutter mir bereits im Gründungsjahr des Studienwerks begeistert von ebendiesem und der dahintersteckenden Vision erzählte, was ich natürlich sehr schön und unterstützenswert fand. Über meine Mutter kannte ich auch eine Stipendiatin, die kurz vor mir aufgenommen wurde. Nach meinem Abitur habe ich mich dann direkt für das Stipendium beworben.
Wie wirst du durch dein Stipendium gefördert?
Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll! Zum einen gibt es natürlich die finanzielle Komponente, mit der ich beispielsweise meine Eltern ein wenig unterstützen konnte und auch für Literatur, Reisen und Bildungsveranstaltungen ein großzügiges Budget hatte. Diese Unterstützung bot mir auch die Möglichkeit, in eine eigene Wohnung nahe der Universität zu ziehen. Der wichtigere Aspekt ist für mich persönlich jedoch die ideelle Förderung, die mich in meiner Persönlichkeit, meinem Horizont und meiner Spiritualität äußerst stark geprägt hat und immer noch tut.
Zur ideellen Förderung gehört nicht nur ein Bildungsangebot, das sich in Form von Seminaren, Jahrestreffen und Bildungsreisen zeigt, sondern auch die Möglichkeit, diese selbst zu organisieren, verantwortungsvolle Ämter zu übernehmen und neue Ideen in das Studienwerk zu tragen. Als Stipendiatin bei Avicenna habe ich demnach ganz viele Möglichkeiten, mich und meine Visionen frei zu entfalten und somit das Studienwerk nachhaltig mitzugestalten. Das ist für mich eine ganz besondere, bereichernde Gelegenheit, für die ich sehr dankbar bin. Zudem bietet die ideelle Förderung die Chance, eigene fachliche Kompetenzen zu stärken, vor allem durch Bildungsveranstaltungen, die wir StipendiatInnen selbst inhaltlich bestimmen und organisieren dürfen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Netzwerk und die Freundschaften zwischen den StipendiatInnen. Das Stipendium schafft durch die interne Vielfalt an Studienfächern und Bereichen des Engagements ein einzigartiges bundesweites Netzwerk, auf das wir auch nach unserem Studium zugreifen können und verbindet uns so auf besondere Art und Weise. Innerhalb des Studienwerks wird daher oft von der „Avicenna family“ oder vom „Avicenna spirit“ gesprochen.
Ist die Höhe deines Stipendiums abhängig vom Einkommen deiner Eltern? Was ist, wenn Eltern „zu viel“ verdienen?
Das Stipendium besteht aus zwei Komponenten, wobei eine Komponente unabhängig vom Einkommen der Eltern ist (300 Euro) und die zweite abhängig vom Verdienst der Eltern an die jeweiligen StipendiatInnen gezahlt wird. Das bedeutet also, dass StipendiatInnen, deren Eltern recht viel verdienen, eine Studienkostenpauschale von 300 Euro bekommen. Und wenn die Eltern eher weniger verdienen, bekommt man zusätzlich zu den 300 Euro den Betrag, den man vom BAföG bekommen würde, als Stipendium dazu. Es gibt auch noch zusätzliche Leistungen, beispielsweise einen Familienzuschlag oder eine Kinderkostenpauschale.
Welche Erwartungen stellt Avicenna an dich als Stipendiatin?
Das Avicenna-Studienwerk lässt den StipendiatInnen viel Gestaltungs- und Entfaltungsfreiraum. Gewünscht ist, der regelmäßige Besuch der monatlichen Regionalgruppentreffen und der Besuch von den Bildungsveranstaltungen von Avicenna, aber das wird von uns StipendiatInnen als Bereicherung und Chance erfahren, nicht als Pflicht oder Erwartung. Neben guten bis sehr guten fachlichen Leistungen wird auch ein ehrenamtliches Engagement erwartet, sei es innerhalb und/oder außerhalb des Studienwerkes. Damit so viele Studierende wie möglich vom Avicenna-Stipendium erfahren und die Chance bekommen sich zu bewerben,
präsentieren StipendiatInnen das Stipendium auf Informationsveranstaltungen.
Was bedeutet es für dich, eine Stipendiatin zu sein?
Stipendiatin zu sein bedeutet für mich, die Möglichkeit zu haben, mich in einem ganz besonderen Maße persönlich weiterzuentwickeln, zu entfalten und der Gesellschaft neben meinem Ehrenamt auf einer weiteren Ebene etwas zurückzugeben. Stipendiatin zu sein bedeutet auch, ein kostbares Privileg in den Händen zu halten und gleichzeitig eine große Verantwortung zu tragen – gegenüber dem Studienwerk, der Gesellschaft und mir selbst. Meine Entscheidung speziell für das Avicenna-Studienwerk hat für mich persönlich auch eine schöne, symbolische Bedeutung: Avicenna-Stipendiatin zu sein bedeutet für mich, die Vision eines offenen, nach Wissen strebenden muslimischen großen Denkers nach außen zu tragen, ganz wie sich der Namensgeber des Studienwerkes, Avicenna, zu seiner Zeit verstand und nebenbei durch seine Werke eine wichtige Brücke zwischen Orient und Okzident baute.
Welche Ziele verfolgt das Avicenna-Studienwerk?
Als jüngstes Studienwerk möchte Avicenna muslimische Studierende und Promovierende finanziell und ideell unterstützen und somit einen geeigneten Rahmen bieten, ihr Potenzial bestmöglich für sich selbst und die Gesellschaft zu entfalten. Avicenna zeigt in einer Zeit der skeptisch, feindseligen Haltung gegenüber Muslimen, dass Deutsch-Sein und Muslim-Sein keine widersprüchlichen Aspekte sind, sondern uns Stipendiaten dazu machen, wer wir sind: Visionäre, Erfinder, Helfer, Philosophen und Gestalter und eben keine unreflektierten und isolierten Menschen. Durch Avicenna wachsen viele verschiedene und bereichernde Persönlichkeiten heran, die durch ihre fachliche Exzellenz und durch ihr Engagement der deutschen Gesellschaft viel geben können und das in allen Bereichen.
Wie verlief dein Auswahlverfahren beim Avicenna-Studienwerk?
Das Auswahlverfahren ist aufgrund der vergleichsweise kleinen Größe des Studienwerkes noch relativ angenehm, es besteht zurzeit aus zwei Phasen: Die Bewerbung über ein Motivationsschreiben und (bei Erfolg) das Auswahlgespräch.
Mit ein paar Informationen über sich selbst und das eigene Engagement wird ein sogenanntes Motivationsschreiben geschrieben, in dem man erklärt, weshalb man sich bei Avicenna beworben hat, welche Visionen und Wünsche einem durch den Kopf gehen und welchen Beitrag man gerne innerhalb des Studienwerkes leisten möchte. Dies wird per Post an die Geschäftsstelle gesendet und wenn man überzeugen konnte, wird man zu einem Auswahlgespräch eingeladen. An mein Auswahlgespräch denke ich immer gerne zurück, es war ein sehr bereicherndes und unterhaltsames Gespräch. Für gewöhnlich läuft ein Auswahlgespräch ca. 30 Minuten und findet in einer der Geschäftsstellen des Studienwerkes statt. Wirklich vorbereitet hatte ich mich nicht dafür, ich habe mich sozusagen einfach in das Auswahlgespräch hineingesetzt und war gespannt auf die kommenden Fragen. Im Auswahlgespräch sitzt eine Jury aus drei bis fünf Personen, die aus MitarbeiterInnen der Geschäftsstelle, des wissenschaftlichen Beirats und aus dem Vorstand zusammengestellt ist. Diese stellen dann Fragen über deine Person, deine Interessen, auch ab und zu über Allgemeinwissen. Bei mir entstand während des Auswahlgesprächs eine sehr interessante philosophische Debatte, die sogar zu einer etwas längeren Sitzung führte. Dies zeugt von einem recht angenehmen Rahmen und ich für meinen Teil kann nur empfehlen, möglichst authentisch durch das Gespräch zu gehen und sich nicht unter Druck zu setzen. Man stellt sich das Ganze oftmals unangenehmer vor als es ist.
Ab welchem Schuljahr/Semester kann man sich bewerben?
Das Stipendium fördert Studierende und Promovierende ab dem ersten Semester. Man kann sich also frühestens im letzten Schuljahr für eine Förderung ab dem ersten Semester bewerben. Ist man bereits in einem höheren Semester, ist es wichtig zu beachten, dass einem noch mindestens fünf Semester Studienzeit verbleiben müssen, um generell angenommen zu werden, d.h. man kann sich nicht bewerben, wenn man bereits mit dem Master begonnen hat.
Was bedeutet es, wenn soziales Engagement verlangt wird? Wie engagierst du dich?
Das Studienwerk fördert besonders Personen, die sich in bestimmten Aspekten auszeichnen. Darunter fällt auch das Engagement, das nicht selten Menschen insofern auszeichnet, dass diese die Leidenschaft haben, Gutes und Innovatives in ihrem Umfeld zu bewirken und durch die Bereitschaft, weitere Arbeit auf sich zu nehmen, Verantwortung in besonderem Maße zu tragen.
Mein Engagement hat sich in den letzten Jahren mehrmals verlagert und geändert. Vor einigen Jahren habe ich mich vor allem im Bereich schulischer Projektarbeit engagiert, ehrenamtlich auf einer Kinder- und Jugendfarm beim Füttern der Tiere ausgeholfen und mich im Projekt „Physik im Advent“ bzw. „Physik für Flüchtlinge“ engagiert. Aufgrund abgeschlossener Projekte, meines Umzuges und weiteren Faktoren arbeite ich aktuell in anderen Bereichen, nämlich zum einen an der Übersetzung einer Kinderbuchreihe aus dem Spanischen, in der Jugendgruppe unserer muslimischen Gemeinde und vor allem innerhalb des Studienwerkes selbst. Ich habe während meiner Zeit bei Avicenna meine Leidenschaft für die Realisierung eigener Ideen und Zukunftsvisionen gefunden und verbringe deshalb im Moment sehr viel Zeit in diesem Bereich (das ist aber freiwillig und wird vom Studienwerk nicht verlangt). Dazu gehört beispielsweise die Beteiligung an der Organisation eines künstlerischen Abends während des Jahrestreffens, die Organisation eines Seminars zum Thema Quantenphysik sowie die Gründung des Arbeitskreises „grüner leben“. Ich hatte auch die Ehre, mich ein Jahr lang als Regionalgruppensprecherin auszuprobieren. Man hat wirklich viele Möglichkeiten bei Avicenna, wie man sieht!
Muss man als Bewerberin/ Bewerber in einer Moschee/ muslimischen Gemeinde aktiv sein?
Nein, das ist keineswegs eine Voraussetzung. Die Entscheidung für ein bestimmtes Engagement ist eine individuelle und persönliche Entscheidung und wird selbstverständlich nicht an einem Bereich festgemacht. Ebenso gilt dies für die Frage, ob man praktizierende/r Muslim/a ist oder nicht. Dies spielt für das Studienwerk keine Rolle.
Wie sieht deiner Meinung nach eine erfolgreiche Bewerbung aus?
Eine erfolgreiche Bewerbung sollte vor allem eines sein – ehrlich und authentisch. Das Avicenna-Studienwerk merkt schnell, wenn Bewerber sich erstmals kurz vor der Bewerbung ehrenamtlich engagieren oder falsche Angaben über die eigene Person treffen, um bessere Chancen zu haben. Man muss kein Überflieger sein, um ein Stipendium zu erlangen, sollte aber gute Noten vorweisen können. Wichtig ist vor allem, von der Idee und den Zielen des Studienwerks überzeugt zu sein und daraus für sich selbst einen Mehrwert ziehen zu können.
Möchtest du Schülerinnen, Schülern und Studierenden – die als Erste in ihrer Familie studieren (wollen) – noch etwas mit auf den Weg geben?
Ganz wichtig: Seid selbstbewusst und traut euch! Oftmals neigt man als Kind von Nichtakademikern dazu, die eigene Leistung zu unterschätzen oder zu übersehen, aber das ist bei aller Bescheidenheit nicht immer richtig. Der Mensch kann vieles erreichen, wenn er den Willen dazu hat, und das gilt auch für ein Studium. Es mag zwar vielleicht Steine auf dem Weg geben, doch mit Ausdauer und dem ständigen Ziel vor Augen werden auch diese überwunden. Scheut euch nicht, als Erste in eurer Familie einen neuen Weg zu gehen, denn dadurch bringt ihr schließlich auch neue Ideen, Visionen und Berufsfelder in euer Umfeld. Das gilt auch für ein Stipendium – durch eine Bewerbung ist nichts verloren und im besten Falle vieles gewonnen!
(Interview: Juli 2018)